Beaobachtet man ein Kind, wird offenbar, wieviel man im Leben üben muss. 10000 Schritte müsse man tun, bis man gehen kann. Unzählige Male mit Messer und Gabel essen, bis man das Besteck so virtuos führen kann, wie wir das gemeinhin als selbstverständlich erachten.
Unser Leben lang erlangen wir Wissen und entwickeln es weiter. Wie legt man einen Garten an, wie kocht man ein schmackhaftes und ausgewogenes Mittagessen, wie verhält man sich Mitmenschen gegenüber.
Sieht man Kindern zu, wie sie die Welt entdecken, ausprobieren, scheitern und wieder aufstehen, lässt sich erahnen, wieviel wir in unserem Leben schon gelernt, erkannt oder auch verpasst haben. Was tun wir mit all dem? Irgendwie müsste man das doch weitergeben können, an Jüngere, Nachfolgende, damit die nicht wieder ganz von vorne beginnen müssen.
Wenn ich mich frage, wieviel ich von meinen Altvorderen mitbekommen habe beschleicht mich immer das Gefühl, es hätte mehr sein können. Vermutlich ist das normal. Doch habe ich in vielerlei Hinsicht hauptsächlich Angst mit auf den Weg bekommen. Da wären ein paar Tipps, wie man mit dem Leben dort draussen umgehen kann, doch hilfreicher gewesen.
Auch scheint es, als würde viele Ältere ihr Wissen, ihre Fähigkeiten für sich behalten, sollen die Jungen doch selbst lernen, dass es nicht so einfach ist, auf die harte Tour sozusagen. Und dann, verlassen sie eines Tages diese Erde und nehmen all ihren Wissens- und Erfahrungsschatz mit, dahin, wo er vermutlich ohnehin keinen Wert mehr hat. Es scheint wie ein Konkurrenzdenken in allen Belangen. Man gönnt sich nichts mehr.
Bei meiner Elterngeneration ist es irgendwie abgebrochen. Meine Grosseltern haben Sauerkarut eingemacht, selbst geschlachtet und Würste geräuchert. Meine Eltern haben das zwar noch mitbekommen, aber ausser den Erzählungen wie das jeweils gerochen hat, haben sie nichts über die Generationen hinweg gerettet. Will ich heute nach traditionellen Rezepten kochen, muss ich wieder von vorne beginnen.
Manche Betriebe, seien es Restaurants, Bauernhöfe, oder auch andere, stehen heute überhaupt noch gut da, weil die vorderen Generationen ihre Energie hineingesteckt haben. Einfach mal so einen Betrieb von Null her aufziehen ist kaum möglich. Es braucht Zeit und Energie von vielen Beteiligten.
Viele grosse Projekte, wenn nicht alle, funktionieren so. Wie kann man einen Wald nachhaltig gestalten, ohne einen Blick für die nächsten paar Generationen einzunehmen? Wie kann man ernsthaft Naturschutz betreiben, ohne die Generationen heute noch Ungeborener in seine Pläne und Visionen mit einzubeziehen?
Dabei stehen wir vor grossen Herausforderungen, die wir nur angehen können, wenn wir weitsichtig werden und bleiben. Wir müssen zwingend soviel wie möglich weitergeben. Die nachfolgenden Generationen entscheiden dann selbst, was sie verwenden können und was nicht. Auf alle Fälle aber, fehlt die Zeit, um überall immer wieder von Null anzufangen.
Und ja, solche Überlegungen kratzen an einem Punkt, den viele gern wegschieben wollen. Alles, was wird, vergeht auch wieder. Da wäre es Zeit, endlich einen Umgang mit dem Tod zu finden und zu pflegen. So wie es Vertreter indigener Völker vormachen.
Ein Stammesführer eines indigenen Volkes ging einst mit seinen drei Söhnen über den Totenacker. Auf seiner Insel war das ein schöner Ort. Einem Garten gleich lagen grasbewachsene Hügelgräber unter hohen Bäumen.
«Da liegt mein Vater und da hinten mein Onkel», hob der Stammesführer an.
Hoch über ihren Köpfen sassen Vögel im Geäst, erkennbar allein an ihren Stimmen.
«Ich bin ein alter Mann mit einem weissen Bart», sprach er weiter. «Wenn ich bald sterbe, werde ich hier bei meinen Vorfahren liegen.»
Sie schritten weiter durch den Garten. «Ihr werdet mein Werk weiterführen und Bäume pflanzen, wie ich es mein Leben lang gemacht habe und ihr es auch schon euer Leben lang tut. Ich werde wieder kommen als Vogel. Und wenn ihr meinen Ruf hört, wisst ihr, dass ihr nicht alleine seid.»
Dann wischte er dem jüngsten eine Träne von der Wange. «Weine nicht kleiner, noch lebe ich.»